Wir zerlegen uns gerade. Wir zerlegen unser gemeinsames Europa!
Wir sollten uns bewusst machen: Nicht nur die Natur ist offensichtlich weltweit vernetzt, sondern ebenso längst auch das menschliche Zusammenleben. Dem schönsten Biotop nutzt es nichts, seinen Exit aus der Vernetzung mit der größeren, letztlich globalen Umwelt zu erklären, wenn das Weltklima und die Ökosysteme insgesamt ins Schwitzen kommen. Dasselbe gilt für alle menschlichen Gemeinschaften, die sich – mit welchen Separierungsideen auch immer – aus der höchst real existierenden Verantwortung für die Weltgemeinschaft stehlen möchten. Ein Exit aus der Mitverantwortung für ein inklusives weltweites Miteinander für Teilhabe, Wohlstand und Sicherheit für alle führt uns letztlich alle in Richtung „Modell Irak und Syrien“.
Modell jeder für seine eigene Nation? NO!
Was haben Grexit, Brexit, Front National, AfD und viele andere aktuelle Strömungen und Diskussionen miteinander gemein? Und was verbindet sie mit den Entwicklungen im Irak, in Syrien, Libyen und immer weiteren Regionen der Welt? Die Exklusionitis und Separatitis. Man will Privilegien exklusiv für die eigene Nation, die eigene Volksgruppe, die eigene Glaubensrichtung sichern und alle anderen daraus ausschließen, exkludieren. Man will Teilhabe und Mitsprache durch exkludierende und separierende „Souveränität“ für die eigene Gruppe reservieren. Man erklärt die jeweils „Anderen“ als inkompatibel mit den eigenen Kultur- und Wertevorstellungen und das eigene Zusammenleben mit diesen als unerträgliche Zumutung.
Wollen wir dieses Modell wirklich nach Europa importieren? Nein!
Was, wenn sich in Großbritannien nun die Brexit-Anhänger durchsetzen? Vielleicht überlegen es sich dann die Schotten doch noch einmal, zur Abstimmung zu schreiten und sich von Brexitannien zu lösen, um nicht von den Briten dominiert zu werden. Was, wenn in Frankreich und Österreich die Europa-Zerleger die nächsten Wahlen gewinnen? Oder in Spanien die Katalonien-Separierer? Oder in Deutschland die Stimmung noch weiter kippt gegen „den Islam“ – und die islamische Türkei als Reaktion darauf den „Exit“ ihrer Flüchtlinge aus Syrien und Irak in Richtung Europa zur neuen Staatsräson erhebt? Oder die EU ihren Plan wahrmacht und Ungarn, Polen, die Slowakei und weitere EU-Länder mit einer Strafe von 250.000 Euro belegt für jeden Flüchtling, den sie gemäß eines EU-Verteilerschlüssels nicht aufnehmen, zu belegen – und die EU an dieser Schnittstelle der Solidaritätsgemeinschaft und der Solidaritätsverweigerer endgültig zerbricht? Oder Donald Trump tatsächlich US-Präsident wird mit einer radikalen „America-First“-Politik – und dies zu neuen „Denen-zeigen-wir-es-jetzt-aber-mal“-Allianzen anderer Groß- und Mittelmächte in Asien und Lateinamerika führt?
Wieso wählen die Bürger Europas solche nationalseparatistischen Bewegungen?
Der größte Feind der Menschheit war zu allen Zeiten und ist es nunmehr in bedrohender Dimension Gruppenegoismus und Bevormundung.
Haben wir heute ein deutsches Europa? Niemand will sich mehr bevormunden lassen, weder von den USA noch von Russland und auch nicht von Deutschland. Deutschland muss insbesondere sehr aufpassen, dass es als ein Land, das jahrzehntelang sich Ansehen als guter Vermittler erarbeitete, nun nicht in die Rolle des Bevormunders wechselt. Daher sollte nicht Frau Merkel direkt mit Herrn Erdogan sprechen, sondern die Zuständigen aus der EU-Kommission. Nicht Herr Schäuble sollte direkt mit Herrn Varoufakis und seinen Nachfolgern reden, sondern die Zuständigen der Troika.
Ein allzu „deutsches“ Europa könnte die Stimmung in Europa insgesamt und endgültig kippen lassen in die Richtung: Jeder setzt rücksichtslos seine Interessen durch. Ein „deutsches“ Europa, sei es durch Alleingänge oder zu viel Dominanz in gemeinschaftlich zu verantwortenden Fragen, trägt ebenso zur Auflösung Europas bei wie ein Europa, das immer mehr zu einem Austragungsort nationaler Egoismen verkommt. Gleichzeitig kann und wird eine auf Solidarität angewiesene EU-Gemeinschaft rosinenpickenden Nationalegoismus und Solidarverweigerung nicht dulden können. Beides befeuert verfeindendes Denken und Handeln und zersetzt jegliche Fähigkeit zur Zukunftsgestaltung.
Was macht Brüssel falsch? Warum entfernen sich die Bürger von Europa?
Europa lebte auf und wurde stark durch ein Denken und Handeln, das auf das Wohl der Gemeinschaft aller ihrer Mitgliedsländer ausgerichtet war. Europa erwarb sich Vertrauen und gewann Ansehen weit über die eigenen Gemeinschaftsgrenzen hinaus durch ein zumindest vergleichsweise überdurchschnittliches Mitdenken globalen Gemeinwohls.
Dasselbe gilt für Deutschland: Dieses Land wurde nach dem Ende des Nazi-Regimes stark durch eine vergleichsweise starke Gemeinwohl-Orientierung in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik des „Wohlstands für alle“ nach Ludwig Erhard. Deutschland erwarb sich Vertrauen und Ansehen in Europa und weltweit durch eine vergleichsweise globalverantwortliche und friedensstiftende Außenpolitik.
Die Vereinigten Staaten von Europa sind die Zukunft!
Zukunft lässt sich in einer hochgradig voneinander abhängigen Weltgesellschaft nur noch als Gemeinwohlveranstaltung für alle sinnvoll und erfolgreich gestalten. Allein so geht es in Richtung Zukunft statt in Richtung Zerlegung.
Wir brauchen eine neue Leitidee á la Ludwig Erhard, diesmal jedoch im Sinne von „Wohlstand für tatsächlich alle“ – innerhalb der Europäischen Union und in der gesamten Weltgesellschaft. Wir brauchen eine Europäische Union, die genau darin ihre neue Zukunftsaufgabe und Zukunftsperspektive sieht und eine letztlich global verantwortungsvolle Politik für eine weltweite öko-soziale Marktwirtschaft und eine weltweite universelle Teilhabe aller Menschen betreibt. Wir brauchen ein Europa der Ideen - für Ideen wie den Globalen Mindestlohn oder den Global Goals Fund zur Finanzierung der Global Goals der Vereinten Nationen!